„Gedenken heißt Kämpfen!“ – Redebeitrag vom 09.11.2024

Gehalten auf der antifaschistischen Demonstration zum Jahrestag der Novemberprogrome

Jedes Jahr aufs Neue stehen wir vor der Frage, was es an diesem Tag als antifaschistische Linke zu sagen gilt. Und jedes Jahr haben wir das Gefühl, dass sich die Bedingungen für ein antifaschistisches Gedenken verschlechtern.

Unser Gedenken heute steht unter dem Schatten des vergangenen Jahres: Der Anschlag am 7. Oktober, die Zuspitzung antisemitischer Gewalt in Deutschland, die Zunahme nationalistischer Abschottungsfantasien, der Ruf nach immer stärkerer Aufrüstung, und der weitere Ausbau einer autoritären Festung Europas. Hinzu kommt der anhaltende Krieg in Gaza und dessen weitere Eskalation.

Vor einem Jahr haben wir reflektiert wie ein antifaschistisches Gedenken aussehen muss, um nicht für eine deutsche Selbstdarstellung als Weltmeister in der geschichtlichen Aufarbeitung missbraucht zu werden. Schauen wir auf die aktuellen Gegebenheiten, scheint es uns dieses Jahr wichtiger, zu Fragen wie dieser Antisemitismus überhaupt funktioniert gegen den wir uns heute gemeinsam positionieren wollen und dessen Opfern wir gedenken.

Heute, wo Antisemitismus mehr denn je eine reale Bedrohung darstellt und gleichzeitig als Vorwand instrumentalisiert wird um Rassistische und Menschenverachtende Ausgrenzung und Gewalt zu verüben, dürfen wir dabei nicht nach einfachen Antworten suchen.

Die perfekte historische und politische Analyse dafür haben wir noch lange nicht. Aber eine Eigenschaft, die Antisemitismus für uns immer wieder so komplex und schwer zu greifen macht, ist nicht die offensichtliche Vernichtungsideologie. Sondern es ist der Drang, das Böse zu personifizieren. Ein Beispiel dafür ist die Vorstellung, dass sich hinter der Elite, die sich auf Kosten anderer ausruht, eine Gruppe verbirgt, die sich in dem Juden als Person manifestiert. Es geht also um die Tendenz ein Gesicht für das Übel auf der Welt zu suchen, eine leichte Antwort zu finden, indem verkürzt der Sündenbock gesucht wird. Aus diesem Sündenbock wird dann die jüdische Übermacht, die aus Habgier der „eigenen Gemeinschaft“, dem eigenen „Volk“ schadet.

Ein Einfallstor für solche antisemitischen Suchen nach dem Sündenbock ist im Nationalsozialismus eine verkürzte Kapitalismuskritik. So wurde auch heute vor 86 Jahren in der kapitalistischen Elite eine Gruppe gesehen, die nicht selbst arbeitet, sondern für sich arbeiten lässt. Als gefährlich wurde das deshalb empfunden, da diese Gruppe angeblich dem „Volkswohl“ und der „Volksgesundheit“ der „Volksgemeinschaft“ schade. Oft muss in dieser Ideologie das Bild des Parasiten herhalten. Diese Vorstellung wird noch deutlicher als Antisemitismus erkennbar, als die Eliten zum Juden werden. Eine Gruppe -die Jüdinnen und Juden- wird vereinheitlicht und dann kollektiv als Sündenbock für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht. Der damit verbundene Hass entlud sich in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch hier in Bielefeld. 

Dieser Mechanismus als EIN Teil antisemitischer Ideologien zeigt heute wichtiger denn je, dass wir achtsam bleiben müssen, wenn Sündenböcke aufgezeigt werden und Personengruppen für ein Übel herhalten müssen.

Vor allem als Linke dürfen wir uns nicht mit verkürzten und einfachen Urteilen zufriedengeben.

Heute können sich jüdische Menschen so wenig sicher fühlen wie schon lange nicht mehr und gleichzeitig wird Antisemitismus verkürzt, als importiertes Problem dargestellt und im Palästinenser der Ursprung dieser Menschenfeindlichkeit gesucht. Dabei gerät eine deutsche Tradition des Faschismus und Antisemitismus ganz beiläufig in den Hintergrund. Es ist also wichtiger denn je, gemeinsam eine Perspektive auf faschistische Logiken und Antisemitismus zu entwickeln und zu fragen, wie diese funktionieren! Weil wie sollen wir uns sonst aus einem Gedenken heraus aktiv gegen Faschistische Entwicklungen stellen?

Einfache Antworten, Klare Schuldige die die Gesellschaftlichen Probleme zu verantworten haben, den Sündenbock suchen, finden, deportieren und vernichten ….. Genau diese Mechanismen haben zu den Pogromen vor 86 Jahren geführt. Der Enthemmung genau dieser Ideologie und deren Opfer gedenken wir heute.

Und gegen die Wurzeln dieser Ideologie wollen wir gemeinsam kämpfen!

„Gedenken heißt Kämpfen!“ – Redebeitrag vom 09.11.2023

„Gedenken heißt Kämpfen“ ist das Motto unter dem diese Demo steht und ist seit Jahren unsere Parole zum Jahrestag der Novemberpogrome. Aber wie läuft das Gedenken in Deutschland überhaupt ab. Warum wollen wir uns in diese Tradition nicht einreihen und wie sollte ein antifaschistisches Gedenken für uns aussehen?

Primär hat das Jüdische in der Geschichte einen Platzt an Orten des Grauens. An Orten die Teil der Industriellen Vernichtung waren. Das Gedenken taucht in unseren Geschichtsbüchern in der Schule auf.  Wenn wir daran Denken sind es schreckliche Zahlen, die die Seiten der Schulbücher füllen. Wenn dem Jüdischen in der deutschen Geschichte gedacht wird, wird einer Zahl und dem grauenvolle Sterben und Leid Unschuldiger gedacht. Andrea Löw (Historikerin am Zentrum für Holokaustforschung) Kritisiert diese Form des Gedenkens als das „Narrativ der jüdischen Massen, die passiv geblieben und „wie die Schafe zur Schlachtbank“ gegangen seien“. Wo ist das Jüdische Leben in der Erinnerung? Wo die Widerständigkeit, das Aufbegehren? Wo ist das Gedenken jüdischer Menschen als Handelnde Subjekte der Geschichte? Und wo findet eine Jüdische Perspektive heute Platz?

Wieso denken wir bei Widerstand nur an Heldenhaftes aufgebehren gegen den NS aus Reihen der Arbeiter*innen Bewegung oder von Seiten der Kirchen? Das soll nicht heißen, dass wir diesen Widerstand Abwerten sollen! Es sticht nur die Einseitigkeit ins Auge, weil In der Perspektive der Jüdische Widerstand fehlt! Auch oder vor Allem als Linke Antifaschistinnen müssen wir uns diesen Fragen stellen!

Einmal im Jahr über Antisemitismus zu sprechen und den Jüdischen Toten zu gedenken, ist kein Kämpfen. Warum greift unser Gedenken erst dann und nicht beim Antisemitismus der in unserer aktuellen Gesellschaft liegt? Wie wir erinnern ist die Grundlage dafür wie und ob wir aus der Geschichte lernen können. Und die Grundlage dafür, welche Kontiunitäten wir ins Heute aufzeigen und bekämpfen können.

Aber können wir vom deutschen Staat überhaupt ein antifaschistisches Gedenken erwarten? Kann der Staat seine eigenen Grundlagen so tiefgreifend kritisieren, dass klar wird welche heute noch bestehenden strukturellen Umstände den Aufstieg der Nazis und die Novemberpogrome vor 85 Jahren ermöglicht haben? Ein Gedenken, welches es sich nicht gleichzeitig zur Aufgabe macht, die Grundlage für ein Wiedererstarken faschistischer Ideologien unmöglich zu machen ist nichts wert. Und das kann der deutsche Staat nicht machen. Dies sieht man sehr deutlich in den Gedenkreden, die der Bundespräsident jedes Jahr am 09.11. hält, in denen der Faschismus zwar als Tragödie genannt wird, es sich aber gleichzeitig nicht verkniffen werden kann, die Deutschen für „ihre Liebe zur Freiheit und ihren Mut zur Demokratie“ zu feiern, weil das Gedenken an diesen Tag, durch den Mauerfall 51 Jahre später, ja so ambivalent sei.

In einem ihrer bekanntesten Zitate sagte die Shoah-Überlebende Esther Bejerano: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“ und damit hat sie auch Recht. Deutschland wurde nicht einfach mit dem Ende des zweiten Weltkrieges vom Nationalsozialismus befreit und hat sich von null auf neu gegründet.

Die Art Institutionen aufzubauen, die Art Bürokratie zu betreiben, die Art Kinder zu erziehen, die Art zu sprechen, zu denken, die Art Angst zu haben. Das alles wurde nicht einfach gelöscht und neugeschrieben. Kontinuität ist kein Problem, was sich nach der ersten Generation von Beamten in der Jungen Bundesrepublik in Luft aufgelöst hat! Und auch Kein Problem, dass sich auf die Institutionen beschränkt! Unser Gedenken muss also auch die heutigen Verhältnisse selbst als historisch gewachsen analysieren und Kritisieren können!

Dass unser Gedenken aktuelle antisemitische Gewalt nicht verhindern kann, sehen wir gerade in Deutschland. Wie kann es sein, dass Ausschreitungen zunehmen und sich Bedrohungsszenarien vor Synagogen in Deutschland gerade verwirklichen? Rechte Gruppen instrumentalisieren das aktuelle Weltgeschehen und das Sterben von Menschen, um ihre antisemitische Gewaltfantasien auszuleben. Dazu kommt noch die seit Jahren zunehmende Popularität von Verschwörungsglauben unter Rückgriff auf antisemitische Logiken. Dafür braucht es keinen „importierten Antisemitismus“, wie ihn Friedrich Merz als Argument seiner rassistischen Grenzpolitik instrumentalisiert, oder Olaf Scholz, der mit ihm seine Massenabschiebungsfantasien rechtfertigt. In der Jüngsten Debatte um Antisemitismus steht immer wieder Gewalt von Muslimischer oder Arabischer Seite im Zentrum. So erfüllt die Debatte gleich zwei Zwecke: Zum einen wird eine europäische und deutsche Abschottungspolitik legitimiert. Zum anderen verschiebt es den Fokus weg von den Antisemitischen Kontinuitäten in Deutschland. Dieses narrativ tendiert dazu Antisemitismus als importiert und von außen an Deutschland heran getragen zu sehen. Wir brauchen eine Form des Gedenkens, die das nicht zulässt!

Wie muss ein antifaschistisches Gedenken unserer Meinung nach also aussehen?

  1. Wir brauchen ein Gedenken, das nationalsozialistische Kategorien nicht reproduziert. Und, das unsere eigene Position als Antifaschist*innen kritisch hinterfragt!
  2. Wir brauchen eine Form des Gedenkens, die es nicht zulässt Antisemitismus als Importiertes Phänomen zu betrachten.
  3. Wir brauchen auch eine Form des Gedenkens, die aufzeigt, welche strukturellen und gesellschaftlichen Umstände faschistischer und antisemitischer Ideologie zugrunde liegen. In diesem Gedenken kann dann die Wurzel liegen Zustände zu schaffen, die das Erstarken dieser Ideologien unmöglich machen.

Aber gemeinsam Antworten auf diese Fragen und Strategien für ein antifaschistisches Gedenken zu finden ist unsere Aufgabe.

Für uns heißt Gedenken Kämpfen. Kämpfen deshalb, weil um das Gedenken selbst gekämpft werden muss. Solange unsere Gesellschaft immer wieder antisemitische und faschistische Seiten zeigt, heißt Gedenken Kämpfen!

Redebeitrag für den Antikapitalistischen Block beim FFF-Zentralstreik am 23.09.2022

Im Zuge des Krieges in der Ukraine hat die Bundesregierung ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung beschlossen. Das ist aus vielen Gründen zynisch und menschenverachtend, aber gerade aus der Perspektive der Jugend macht es unmissverständlich klar, wie egal den Herrschenden unsere Zukunft ist. Die Klimabewegung fordert seit Jahrzehnten unermüdlich die Umsetzung dringend erforderlicher und längst überfälliger Maßnahmen, um die sonst unvermeidbare Katastrophe mit all ihren sozialen und ökologischen Verwerfungen, die auf uns zu rollen, abzuwenden. Sei es bei der Forderung nach dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien oder bei der Forderung nach besser ausgebautem und kostenlosem öffentlichen Nah- und Fernverkehr, nach Sanierung von Schulen und der Einstellung von mehr Lehrkräften, immer wurden wir vertröstet, es sei nicht genug Geld da. Und trotzdem hat die Bundesregierung über Nacht 100 Milliarden für Bundeswehr und Rüstungskonzerne hergezaubert? Wie kann das sein?

Offensichtlich liegt es nicht am Können oder am Vorhandensein von Geld, es liegt am politischen Willen. Denn selbst jetzt war das Geld ja scheinbar doch da, es hat sich nur versteckt. Und dabei sind so viele Geldquellen völlig unangetastet geblieben: die vollkommen ausufernden Vermögen der Konzerne und Superreichen. Während wir zum kalt duschen und waschen mit dem Waschlappen aufgefordert werden, während Habeck noch betont, zusätzliche finanzielle Unterstützung „kriegst du nicht, alter“, während Berufsschulen für Pflegeberufe wie das AWO-Berufskolleg in Bielefeld aus finanziellen Gründen geschlossen werden, machen Kriegs- und Krisenprofiteure gewinne in astronomischen Höhen. Alleine den krisenbedingten Übergewinn deutscher Energiekonzerne beziffert die Rosa-Luxburg-Stiftung auf ca. 110 Milliarden Euro. Die Gewinne, mit denen Rüstungskonzerne in naher Zukunft wohl zu rechnen haben, lassen sich nur erahnen. Wir lassen uns nicht verarschen: Geld ist genug da! Es kann nicht sein, dass bei den Konzernen, die auf die Zerstörung unserer Zukunft, unserer Lebensgrundlage, auf globales Wettrüsten und Wietschaftskriege hinarbeiten, die Sektkorken knallen, während sämtliche Maßnahmen zur Abwendung einer sozialen und ökologischen Katastrophe angeblich nicht finanzierbar sind! Selbst das 9-€-Ticket, ein im Verhältnis winziges Zugeständnis, welches vor Allem armen Menschen und Jugendlichen, die sich plötzlich Mobilität leisten konnten zu Gute kam, wurde uns wieder ohne ernstzunehmenden Ersatz genommen, bevor wir uns überhaupt daran gewöhnen konnten. Auch hier soll es angeblich an der Finanzierung scheitern.

Wir sagen: es reicht! Wir können es nicht zulassen, dass die deutsche Rüstungsindustrie bis zum platzen mit Mitteln vollgepumpt wird, während für uns nichts übrig bleibt! Wir fordern nicht nur eine Absage an die 100 Milliarden für die Bundeswehr und eine Umleitung dieses Geldes für Klimaschutzmaßnahmen, wir fordern auch eine Übergewinnsteuer und die Vergesellschaftung sämtlicher öffentlicher Infrastruktur und eine radikale Umgestaltung hin zu einer klimagerechten Politik! Wir, das antifaschistische Jugendcafé Bielefeld, wollen mit euch gemeinsam für eine Zukunft kämpfen, die uns gehört: Der Jugend! Lasst uns uns zusammenschließen, uns organisieren und gemeinsam diesem Wahnsinn ein Ende bereiten! Lasst uns den Herrschenden zeigen, dass Olaf Scholz recht hatte als er feststellte: Wir befinden uns in einer Zeitenwende!