„Gedenken heißt Kämpfen!“ – Redebeitrag vom 09.11.2023

„Gedenken heißt Kämpfen“ ist das Motto unter dem diese Demo steht und ist seit Jahren unsere Parole zum Jahrestag der Novemberpogrome. Aber wie läuft das Gedenken in Deutschland überhaupt ab. Warum wollen wir uns in diese Tradition nicht einreihen und wie sollte ein antifaschistisches Gedenken für uns aussehen?

Primär hat das Jüdische in der Geschichte einen Platzt an Orten des Grauens. An Orten die Teil der Industriellen Vernichtung waren. Das Gedenken taucht in unseren Geschichtsbüchern in der Schule auf.  Wenn wir daran Denken sind es schreckliche Zahlen, die die Seiten der Schulbücher füllen. Wenn dem Jüdischen in der deutschen Geschichte gedacht wird, wird einer Zahl und dem grauenvolle Sterben und Leid Unschuldiger gedacht. Andrea Löw (Historikerin am Zentrum für Holokaustforschung) Kritisiert diese Form des Gedenkens als das „Narrativ der jüdischen Massen, die passiv geblieben und „wie die Schafe zur Schlachtbank“ gegangen seien“. Wo ist das Jüdische Leben in der Erinnerung? Wo die Widerständigkeit, das Aufbegehren? Wo ist das Gedenken jüdischer Menschen als Handelnde Subjekte der Geschichte? Und wo findet eine Jüdische Perspektive heute Platz?

Wieso denken wir bei Widerstand nur an Heldenhaftes aufgebehren gegen den NS aus Reihen der Arbeiter*innen Bewegung oder von Seiten der Kirchen? Das soll nicht heißen, dass wir diesen Widerstand Abwerten sollen! Es sticht nur die Einseitigkeit ins Auge, weil In der Perspektive der Jüdische Widerstand fehlt! Auch oder vor Allem als Linke Antifaschistinnen müssen wir uns diesen Fragen stellen!

Einmal im Jahr über Antisemitismus zu sprechen und den Jüdischen Toten zu gedenken, ist kein Kämpfen. Warum greift unser Gedenken erst dann und nicht beim Antisemitismus der in unserer aktuellen Gesellschaft liegt? Wie wir erinnern ist die Grundlage dafür wie und ob wir aus der Geschichte lernen können. Und die Grundlage dafür, welche Kontiunitäten wir ins Heute aufzeigen und bekämpfen können.

Aber können wir vom deutschen Staat überhaupt ein antifaschistisches Gedenken erwarten? Kann der Staat seine eigenen Grundlagen so tiefgreifend kritisieren, dass klar wird welche heute noch bestehenden strukturellen Umstände den Aufstieg der Nazis und die Novemberpogrome vor 85 Jahren ermöglicht haben? Ein Gedenken, welches es sich nicht gleichzeitig zur Aufgabe macht, die Grundlage für ein Wiedererstarken faschistischer Ideologien unmöglich zu machen ist nichts wert. Und das kann der deutsche Staat nicht machen. Dies sieht man sehr deutlich in den Gedenkreden, die der Bundespräsident jedes Jahr am 09.11. hält, in denen der Faschismus zwar als Tragödie genannt wird, es sich aber gleichzeitig nicht verkniffen werden kann, die Deutschen für „ihre Liebe zur Freiheit und ihren Mut zur Demokratie“ zu feiern, weil das Gedenken an diesen Tag, durch den Mauerfall 51 Jahre später, ja so ambivalent sei.

In einem ihrer bekanntesten Zitate sagte die Shoah-Überlebende Esther Bejerano: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“ und damit hat sie auch Recht. Deutschland wurde nicht einfach mit dem Ende des zweiten Weltkrieges vom Nationalsozialismus befreit und hat sich von null auf neu gegründet.

Die Art Institutionen aufzubauen, die Art Bürokratie zu betreiben, die Art Kinder zu erziehen, die Art zu sprechen, zu denken, die Art Angst zu haben. Das alles wurde nicht einfach gelöscht und neugeschrieben. Kontinuität ist kein Problem, was sich nach der ersten Generation von Beamten in der Jungen Bundesrepublik in Luft aufgelöst hat! Und auch Kein Problem, dass sich auf die Institutionen beschränkt! Unser Gedenken muss also auch die heutigen Verhältnisse selbst als historisch gewachsen analysieren und Kritisieren können!

Dass unser Gedenken aktuelle antisemitische Gewalt nicht verhindern kann, sehen wir gerade in Deutschland. Wie kann es sein, dass Ausschreitungen zunehmen und sich Bedrohungsszenarien vor Synagogen in Deutschland gerade verwirklichen? Rechte Gruppen instrumentalisieren das aktuelle Weltgeschehen und das Sterben von Menschen, um ihre antisemitische Gewaltfantasien auszuleben. Dazu kommt noch die seit Jahren zunehmende Popularität von Verschwörungsglauben unter Rückgriff auf antisemitische Logiken. Dafür braucht es keinen „importierten Antisemitismus“, wie ihn Friedrich Merz als Argument seiner rassistischen Grenzpolitik instrumentalisiert, oder Olaf Scholz, der mit ihm seine Massenabschiebungsfantasien rechtfertigt. In der Jüngsten Debatte um Antisemitismus steht immer wieder Gewalt von Muslimischer oder Arabischer Seite im Zentrum. So erfüllt die Debatte gleich zwei Zwecke: Zum einen wird eine europäische und deutsche Abschottungspolitik legitimiert. Zum anderen verschiebt es den Fokus weg von den Antisemitischen Kontinuitäten in Deutschland. Dieses narrativ tendiert dazu Antisemitismus als importiert und von außen an Deutschland heran getragen zu sehen. Wir brauchen eine Form des Gedenkens, die das nicht zulässt!

Wie muss ein antifaschistisches Gedenken unserer Meinung nach also aussehen?

  1. Wir brauchen ein Gedenken, das nationalsozialistische Kategorien nicht reproduziert. Und, das unsere eigene Position als Antifaschist*innen kritisch hinterfragt!
  2. Wir brauchen eine Form des Gedenkens, die es nicht zulässt Antisemitismus als Importiertes Phänomen zu betrachten.
  3. Wir brauchen auch eine Form des Gedenkens, die aufzeigt, welche strukturellen und gesellschaftlichen Umstände faschistischer und antisemitischer Ideologie zugrunde liegen. In diesem Gedenken kann dann die Wurzel liegen Zustände zu schaffen, die das Erstarken dieser Ideologien unmöglich machen.

Aber gemeinsam Antworten auf diese Fragen und Strategien für ein antifaschistisches Gedenken zu finden ist unsere Aufgabe.

Für uns heißt Gedenken Kämpfen. Kämpfen deshalb, weil um das Gedenken selbst gekämpft werden muss. Solange unsere Gesellschaft immer wieder antisemitische und faschistische Seiten zeigt, heißt Gedenken Kämpfen!