Gehalten auf der antifaschistischen Demonstration zum Jahrestag der Novemberprogrome
Jedes Jahr aufs Neue stehen wir vor der Frage, was es an diesem Tag als antifaschistische Linke zu sagen gilt. Und jedes Jahr haben wir das Gefühl, dass sich die Bedingungen für ein antifaschistisches Gedenken verschlechtern.
Unser Gedenken heute steht unter dem Schatten des vergangenen Jahres: Der Anschlag am 7. Oktober, die Zuspitzung antisemitischer Gewalt in Deutschland, die Zunahme nationalistischer Abschottungsfantasien, der Ruf nach immer stärkerer Aufrüstung, und der weitere Ausbau einer autoritären Festung Europas. Hinzu kommt der anhaltende Krieg in Gaza und dessen weitere Eskalation.
Vor einem Jahr haben wir reflektiert wie ein antifaschistisches Gedenken aussehen muss, um nicht für eine deutsche Selbstdarstellung als Weltmeister in der geschichtlichen Aufarbeitung missbraucht zu werden. Schauen wir auf die aktuellen Gegebenheiten, scheint es uns dieses Jahr wichtiger, zu Fragen wie dieser Antisemitismus überhaupt funktioniert gegen den wir uns heute gemeinsam positionieren wollen und dessen Opfern wir gedenken.
Heute, wo Antisemitismus mehr denn je eine reale Bedrohung darstellt und gleichzeitig als Vorwand instrumentalisiert wird um Rassistische und Menschenverachtende Ausgrenzung und Gewalt zu verüben, dürfen wir dabei nicht nach einfachen Antworten suchen.
Die perfekte historische und politische Analyse dafür haben wir noch lange nicht. Aber eine Eigenschaft, die Antisemitismus für uns immer wieder so komplex und schwer zu greifen macht, ist nicht die offensichtliche Vernichtungsideologie. Sondern es ist der Drang, das Böse zu personifizieren. Ein Beispiel dafür ist die Vorstellung, dass sich hinter der Elite, die sich auf Kosten anderer ausruht, eine Gruppe verbirgt, die sich in dem Juden als Person manifestiert. Es geht also um die Tendenz ein Gesicht für das Übel auf der Welt zu suchen, eine leichte Antwort zu finden, indem verkürzt der Sündenbock gesucht wird. Aus diesem Sündenbock wird dann die jüdische Übermacht, die aus Habgier der „eigenen Gemeinschaft“, dem eigenen „Volk“ schadet.
Ein Einfallstor für solche antisemitischen Suchen nach dem Sündenbock ist im Nationalsozialismus eine verkürzte Kapitalismuskritik. So wurde auch heute vor 86 Jahren in der kapitalistischen Elite eine Gruppe gesehen, die nicht selbst arbeitet, sondern für sich arbeiten lässt. Als gefährlich wurde das deshalb empfunden, da diese Gruppe angeblich dem „Volkswohl“ und der „Volksgesundheit“ der „Volksgemeinschaft“ schade. Oft muss in dieser Ideologie das Bild des Parasiten herhalten. Diese Vorstellung wird noch deutlicher als Antisemitismus erkennbar, als die Eliten zum Juden werden. Eine Gruppe -die Jüdinnen und Juden- wird vereinheitlicht und dann kollektiv als Sündenbock für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht. Der damit verbundene Hass entlud sich in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch hier in Bielefeld.
Dieser Mechanismus als EIN Teil antisemitischer Ideologien zeigt heute wichtiger denn je, dass wir achtsam bleiben müssen, wenn Sündenböcke aufgezeigt werden und Personengruppen für ein Übel herhalten müssen.
Vor allem als Linke dürfen wir uns nicht mit verkürzten und einfachen Urteilen zufriedengeben.
Heute können sich jüdische Menschen so wenig sicher fühlen wie schon lange nicht mehr und gleichzeitig wird Antisemitismus verkürzt, als importiertes Problem dargestellt und im Palästinenser der Ursprung dieser Menschenfeindlichkeit gesucht. Dabei gerät eine deutsche Tradition des Faschismus und Antisemitismus ganz beiläufig in den Hintergrund. Es ist also wichtiger denn je, gemeinsam eine Perspektive auf faschistische Logiken und Antisemitismus zu entwickeln und zu fragen, wie diese funktionieren! Weil wie sollen wir uns sonst aus einem Gedenken heraus aktiv gegen Faschistische Entwicklungen stellen?
Einfache Antworten, Klare Schuldige die die Gesellschaftlichen Probleme zu verantworten haben, den Sündenbock suchen, finden, deportieren und vernichten ….. Genau diese Mechanismen haben zu den Pogromen vor 86 Jahren geführt. Der Enthemmung genau dieser Ideologie und deren Opfer gedenken wir heute.
Und gegen die Wurzeln dieser Ideologie wollen wir gemeinsam kämpfen!